Zutrauen statt überbehüten

Je mehr ich über das Thema „Nicht zu streng, nicht zu eng“ nachdenke, desto klarer wird mir, dass ich in meiner Kindheit beides zeitgleich erlebt habe. Man kann also auch zu streng UND zu eng gleichzeitig sein. Meine Mutter war oft streng, weil sie nicht loslassen konnte. Überbehütet könnte man es wohl nennen. Hätte man mich vor einiger Zeit gefragt, wie ich meine Kindheit beschreiben würde, hätte ich gesagt, ich hatte eine tolle Kindheit. Klar, gezankt wurde sich immer mal, aber ich wurde immer liebevoll und zugewandt erzogen.

Erst im Rahmen meiner Therapie wurde mir klar, dass das so nicht stimmt. Ja, meine Mutter war liebevoll, aber es war zu viel. Sie hat mich erdrückt aus Sorge. Ich lebte in einer Art perfekter Blase. Ich durfte nicht auf Bäume klettern, weil ich mich hätte verletzen können. Ich durfte keine selbstgepflückten Äpfel vom Baum essen, weil sie nicht sauber waren. Ich durfte nicht mit Messern schneiden, weil sie zu scharf waren. Es gab Strafen und Schimpfen, wenn ich es trotzdem gemacht habe. Ja, meine Mutter war streng. Oft zu streng. Und gleichzeitig eng. Oft zu eng – aus Liebe zu mir.

Und heute? Was hat diese Erziehung mit mir gemacht? Mein Selbstbewusstsein hatte nie wirklich Gelegenheit, sich zu entfalten. Ich stand immer unter Beobachtung, sodass ich mich heute noch schwer tue, etwas allein zu machen, allein zu entscheiden, zu meinen Entscheidungen zu stehen. Ich konnte nie Fehler machen und aus ihnen lernen. Ich lerne es jetzt auf mich allein gestellt und das ist ein langer, anstrengender Weg. Die Unsicherheit ist mein ständiger Begleiter.

Früher dachte ich, das wäre alles gut und normal so. Man will ja schließlich nur das Beste für sein Kind. Was ich erst durch meine eigenen Kinder gelernt habe: Man muss auch zutrauen können. Ich darf mein Kind nicht in Watte packen, alles Schlechte von ihm fernhalten, es überbehüten. Ich muss es auf die Welt und das Leben vorbereiten, mit allen Facetten, die es bietet. Es soll die Welt und sich selbst entdecken können. Und ich halte meine Hand stützend dahinter, nicht beschützend davor.

Schreibe einen Kommentar