Alte Muster

Durch meine Auseinandersetzung mit dem Thema beziehungsorientierte Erziehung fällt mir immer häufiger auf, wie sehr so viele alte Muster in mir verankert sind. Wie oft habe ich Sätze zu meinem Kind gesagt, die ich eigentlich gar nicht so meinte. Sie sprudelten einfach aus mir raus, als würde gar nicht ich selbst sprechen. Wie sehr habe ich mein Kind damit verletzt, ohne es zu wollen. Mein Mann meinte eines Tages „Du klingst wie deine Mutter“ – und genau das ist der Schlüsselsatz.

Vor den Kindern hätte ich nie für möglich gehalten, dass die eigene Erziehung SO tief sitzt. Du wurdest als Kind geschlagen? Na, dann machst du es mit deinen eigenen Kindern halt anders! Wenn es so einfach wäre… Ich wurde (zum Glück!) nie geschlagen, aber die Worte und Gefühle waren auch eine Art Prügel. Ich war schon immer ein sehr sensibler Mensch, der alle Gefühle in sich aufsaugt. Und irgendwie haben sie all die Jahre in mir gewohnt und stürzen jetzt heraus, auf meine eigenen Kinder. Das sind sie wohl, die alten Muster.

„Jetzt brüll nicht so, die Leute gucken schon!“

„Du wirst ja wohl mal kurz warten können!“

„Benimm dich doch mal, wir sind im Restaurant!“

„Wenn du jetzt nicht ruhig bist, fahren wir morgen nicht in den Zoo!“

Ja, all diese Sätze habe ich auch schon zu meinem Kind gesagt. Und in dem Moment, in dem ich sie aussprach, fühlte ich mich für einen kurzen Augenblick sogar…gut! Ich spürte plötzlich Macht. Ich war nicht mehr klein und hilflos, ich war jetzt die „Große“, die verbal prügeln darf. Natürlich „durfte“ ich das nicht, und direkt danach fühlte ich mich jedes Mal unglaublich schlecht. Trotzdem geschah und geschieht es immer mal wieder, auch wenn es das nicht sollte. Als würde ich mich nun endlich revanchieren können – aber an der falschen Adresse. Mein Kind ist ja nicht meine Mutter. Ich habe mich entschieden, das anzunehmen und daran zu arbeiten. Daran zu arbeiten, meine Impulskontrolle wiederzuerlangen und zu differenzieren, ob ich gerade „Frau meiner Selbst“ bin oder im Grunde gerade das „Kleine Ich“ von damals.

Wie hat sich meine Mutter wohl gefühlt, als sie so mit mir gesprochen hat? Wie verzweifelt muss sie gewesen sein? Wieviel davon sind selbst ihre eigenen alten Muster gewesen?

Wir haben es in der Hand, diese Spirale endlich zu durchbrechen. Bevor ich selbst Mutter wurde, hätte ich nie für möglich gehalten, dass die Elternschaft so eine unfassbare Arbeit an mir selbst sein würde. Aber ich bin stolz darauf, dass ich das erkannt habe. Dass ich meinen Kindern dadurch eine Kindheit ohne meine eigenen Muster ermöglichen kann. Auch wenn es ein langer Weg ist, der nicht immer gelingen wird. Aber wir gehen ihn.

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